Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher in der Regelschule

Strategie: "Compacting"

Eine Art, wie Schüler Unterrichtszeit "zurückkaufen" können, um diese dann für andere Zwecke zu verwenden, ist eine Methode, die im Englischen als "Compacting" bezeichnet wird. Macht man sich bewusst, dass dieser Begriff auch im Zusammenhang mit Müll verwendet wird, so wird deutlich, wie "Compacting" im schulischen Bereich verstanden werden soll: Diese Methode soll den Lehrplan für einzelne Schüler "entrümpeln", Teile entfernen, die den Kindern/Jugendlichen bereits bekannt sind und ihnen daher nicht fehlen.

Bevor man jedoch mit dem Entrümpeln beginnen kann, muss zunächst einmal festgestellt werden, welche Kompetenzen die Schüler bereits haben. Außerdem müssen ihre Leistungen voll anerkannt werden (auch hinsichtlich der Schulnote). Und letztlich muss auch entschieden werden, was sie mit ihrer "freien Zeit" anstellen können, sodass sie sich nicht langweilen und eine Last für die Lehrer und Schulkollegen werden.

Der Lehrplan darf natürlich nur in jenen Bereichen entrümpelt werden, in denen das hochbegabte Kind auch wirklich seine Stärken besitzt. Handelt es sich zum Beispiel um einen Schüler, der hervorragend in Mathematik, aber "nur" durchschnittlich in Deutsch ist, so werden Sie nur den Lehrplan in Mathematik komprimieren.

Auch wenn es verlockend ist, hochbegabte Kinder in ihrer "zurückgekauften" Schulzeit an Schwächen in anderen Fächern arbeiten zu lassen - das ist nicht der Sinn der Förderung!

Vielmehr geht es darum, dass der Schüler/die Schülerin sich so Zeit für "Enrichment" (="Anreicherung") oder alternative Aktivitäten in einem speziellen Fach kauft. Es geht also darum, dass das Kind/der Jugendliche die Möglichkeit hat, an seinen Stärken zu arbeiten, seinem Interesse vertieft nachzugehen.

Zuerst die Prüfung, dann der Lehrstoff

Eine Möglichkeit, wie festgestellt werden kann, ob einem Kind in einem bestimmten thematischen Bereich nichts Neues mehr geboten werden kann, ist, den Test über den Lehrstoff - der eigentlich ja erst nach Absolvierung des Unterrichts abgehalten wird - vor Beginn des Kapitels anzubieten.

Konkret: Sie beginnen einen neuen thematischen Bereich und möchten wissen, welche Kinder das Wissen, das Sie ihnen in den kommenden Wochen vermitteln möchten, bereits haben. Bereiten Sie zu diesem Zweck einen Test vor, der sich genau mit diesem Lehrstoff beschäftigt und bieten Sie allen Schülern an, dass sie diese Prüfung vor Beginn des Kapitels absolvieren. Natürlich müssen nicht alle teilnehmen.
Wer ein "Sehr gut" erreicht, hat sich die Zeit, in der dieser Lehrstoff unterrichtet wird, zurückgekauft. Alle anderen Noten sind "ungültig" und werden nicht in die Gesamtbeurteilung einbezogen - dafür "müssen" die entsprechenden Kinder aber auch am Unterricht teilnehmen.

Was tun mit der erkauften Zeit?

Möglichkeit 1: Beim Thema bleiben

In der zurückgekauften Zeit können sich Kinder, die nur in einem Bereich "compacten", sich mit dem gleichen Thema beschäftigen - aber eben auf eine Art und Weise, die für sie eine Herausforderung bedeutet.

Ein Beispiel: Ein Kind, bei dem festgestellt wird, dass es geographische Karten bereits hervorragend lesen und interpretieren kann, braucht nicht aktiv an den Unterrichtseinheiten zu diesem Thema teilnehmen. Es kann aber in der gleichen Zeit zum Beispiel ein imaginäres Land aus Pappmaché konstruieren und dabei die Populationszentren, die natürlichen Ressourcen, die Industriezentren, landwirtschftlichen Produkte etc. einbauen. Am Ende der Unterrichtszeit zu diesem Thema bietet sich dann eine Vorstellung des Projekts durch das Kind an.

Kommt - wider Erwarten - von anderen Schülern die Frage, warum sie sich mit dem Lehrstoff auseinander setzen müssen, das eine Kind (oder die wenigen anderen Kinder) nicht, ist die Antwort ganz einfach: Alle hatten die gleiche Chance - aber nur wenige konnten aufzeigen, dass sie den entsprechenden Lehrstoff bereits beherrschen.

Eher wird die Frage auftauchen, ob nicht der Rest der Klasse auch so ein Projekt machen kann. Da bietet es sich an, eine "abgespeckte" Variante durchzuführen, wobei das Kind mit dem entrümpelten Lehrplan als Berater für die anderen Schüler agiert

Möglichkeit 2: Ein dauerhaftes Projekt

Eine andere Möglichkeit, womit sich Kinder/Jugendliche in ihrer zurückgekauften Zeit beschäftigen können, ist, dass sie einem längerfrostigen Projekt nachgehen.

Ein Beispiel ist zum Beispiel das Verfassen und Gestalten eines Buches zu einem Thema freier Wahl des Kindes - wenn das Kind gerne schreibt. Gerade bei einem schriftlichen Projekt bietet es sich auch an, dass das Kind aus dort gemachten Fehlern lernt und dabei seinen Lehrplan weiter komprimiert: So können Fehler, die immer wieder auftauchen gesammelt werden. Haben sich zehn davon gefunden, so lernt das Kind diese gezielt und bekommt zu einem fix vereinbarten Termin ein entsprechendes Diktat.

Eine solche Lösung ist aber nur dann anzustreben, wenn das Projekt des Kindes mehrere Bereiche, in denen es Stärken hat, abdeckt.

Der "Compactor" (Joseph Renzulli und Linda H. Smith)

Hier gibt es das Formular zum Ausdrucken:

Entrümpelungs-Plan
Name des Schülers/der Schülerin:
Bereiche, in denen Stärken vorhanden sind nachgewiesen durch Alternativ-Beschäftigung
     
     
     

Wie Sie den "Compactor" richtig nutzen:

1. Bereiten Sie einen "Compactor" für jeden Schüler vor - manche werden im Laufe des Schuljahres mehrere benötigen, andere einen oder auch keinen.

2. Verwenden Sie den "Compactor", um alle Modifikationen im Lehrplan zu dokumentieren:

Alternative Aktivitäten haben ihre Herkunft normalerweise in dem Bereich, aus dem sich der Schüler/die Schülern die Zeit "gekauft" hat. Manchmal kann es sich dabei aber auch um Aktivitäten aus anderen Fächern oder um länger andauernde Projekte handeln, die das Kind besonders beschäftigen.

3. Legen Sie einen Ordner fpr jeden Schüler an, dessen Lehrplan Sie "entrümpeln". Heben Sie hier alle Vortests und andere Nachweise auf, alle "Compatoren" und eine Zusammenfassung der Alternativ-Beschäftigungen auf.

ACHTUNG

Verwenden Sie NIEMALS die Zeit, die sich ein Schüler durch seine Fähigkeiten in einem Bereich kauft, um Schwächen in anderen Fächern ausmärzen zu versuchen!

Erlauben Sie den betreffenden Kindern AUF JEDEN FALL, dass ihnen die ausgedehnte Beschäftigung in ihren "guten" Bereichen auch Spaß macht!