Niedergeschrieben und an tate.at geschickt von Monis. DANKE!
Florian (geboren 12/94) hatte schon früh Eigenarten, die wir aber erst im Nachhinein einordnen konnten. Er brauchte einen geregelten Tages- und Wochenablauf. Zuviele Aktivitäten und Ereignisse verwirrten ihn. Besonders war, dass er mit 11 Monaten frei gehen konnte, und dass er nie an der Hand ging. Richtig verständlich gesprochen hat er erst mit 2 Jahren. Er konnte sich stundenlang allein beschäftigen mit spielen und basteln.
Mit 3 1/2 Jahren kam er in die Spielgruppe. Dort ist er aufgefallen, weil er mit niemanden gesprochen hat: weder mit der Leiterin noch mit den anderen Kindern. Schnell kam die Aussage: “soziale Defizite”. Abklärungen bei der heilpädagogischen Früherziehung ergaben keine Besonderheiten, mit dem Tester hat Florian auch von der ersten Sekunde an gesprochen. Der Verdacht auf Mutismus kam auf. Sein Schweigen in der Spielgruppe hörte in dem Moment auf, als er keinen Druck mehr spürte.
Mit 5 1/2 dann Kindergarten. Die Leiterin dort konnte mit unserem Sohn nicht viel anfangen. Wenn er an einer Sache dran war, hat er sie erst fertig gemacht, egal ob Frühstückspause, Singen etc. angesagt war. Wieder die Aussage “soziale Defizite”. Wir erlebten zu Hause und in anderen Gruppen gegenteiliges Verhalten, aber das glaubte die Kindergärtnerin nicht. Ihre Vermutung: “Das Kind hat ADS oder ist hochbegabt”. Nach Diskussionen zwischen meinem Mann und mir und nach Rücksprache mit der Kinderärztin haben wir unseren Sohn für eine Abklärung angemeldet. Leider dauerte es einige Monate, bis wir einen Termin bekamen. Zwischenzeitlich stand das Übertrittgespräch für die Schule an. Die Kindergärtnerin wollte ihn in die Einführungsklasse einstufen, wegen seiner sozialen Defizite (Info: Einführungsklasse bedeutet, dass der Stoff vom ersten Schuljahr auf zwei Jahre verteilt wird-also langsames Lerntempo). Wir weigerten uns, eine definitive Entscheidung zu treffen, bevor die Abklärung gemacht wurde. Die Ärztin, die ihn getestet hat, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: “Wer um Gottes Willen will dieses Kind in die Einführungsklasse schicken? Auf keinen Fall dürfen Sie das tun. Es wird ihm vermutlich auch so schon langweilig in der 1.Klasse. Florian braucht unbedingt zusätzliche Förderung!” Also Einschulung in die Regelklasse.
4 Wochen nach Schulbeginn dann ein Gespräch mit der Klassenlehrerin. Ihr war schon aufgefallen, dass Florian wie ein Erwachsener denkt und ein unglaubliches Auffassungsvermögen hat. Sie wollte sich informieren, welche Möglichkeiten zur zusätzlichen Förderung bestehen. Allerdings blieb es dann leider bei der Aussage. Es tat sich nämlich nichts. Nach 4 Monaten hat sich unser Kind dann geweigert, Hausaufgaben zu machen. Er hat alle möglichen Ausreden gefunden (vergessen, schon gemacht, keine gekriegt etc.), bis es dann irgendwann mal kam: ihm sei langweilig in der Schule. Gespräch mit der Lehrerin: Sie hat sein mangelndes Leseverständnis erwähnt, was uns masslos erstaunt hat. Florian hatte über die Weihnachtsferien ein Flughandbuch für Piloten gelesen und den Inhalt verstanden; das haben seine Rückfragen bewiesen. Natürlich interessierten ihn danach Aufgaben wie: Die braune Kuh steht auf der grünen Wiese. Welche Farbe hat die Kuh? nicht mehr. Hilfe seitens der Lehrerin war nicht zu bekommen.
Also haben wir sein Interesse für die Fliegerei gefördert (Flugsimulation am PC usw.). Zusätzlich hatte er verschiedene Freizeitaktivitäten, die ihm viel Spass machten und die er auch jetzt noch ausübt: Schach, Judo, Flöten spielen, Schwimmkurs).
Zufällig haben wir dann zwei Dinge erfahren: 1. es gab in der Klasse ein zweites hochbegabtes Kind (warum die Lehrerin nicht versucht hatte, die beiden zusammen zu bringen und zu fördern, wissen wir nicht) 2. es gibt ein Förderprogramm der Schule für begabte Kinder (weder die Schule noch die Lehrerin haben uns darüber informiert). Bis wir die Infos zusammen hatten, war das erste Schuljahr für unseren Sohn schon gelaufen. Es stellte sich auch immer mehr heraus, dass die Lehrerin mit unserem Sohn nicht zurechtkam; er sass meist sehr schweigsam und verschlossen auf seinem Stuhl und liess niemanden an sich herankommen. Sobald er dann einmal etwas aus “seiner” Rolle fiel, wurde er unverhältnismässig zurechtgewiesen. Zum Schluss traute er sich nicht mal mehr, um einen Bleistift zu bitten. Andere Kinder ärgerten ihn auf dem Schulweg und dem Pausenplatz. Die Vorschläge der Lehrerin haben ihn dann einmal mehr zum Schuldigen gestempelt.
Florian heulte zu Hause manchmal stundenlang, konnte sich nicht mehr beruhigen. Kurz vor Ende des ersten Schuljahres dann nochmal ein Termin mit der Ärztin, die die Abklärung gemacht hatte sowie der Kinderärztin. Sie waren sofort zu einem Gespräch am runden Tisch bereit: Eltern, Lehrerin und die beiden Ärztinnen. Nachdem die Lehrerin anfangs noch kooperativ schien, war ihr dann offenbar der Weg zu weit.
Das zweite Schuljahr begann; wir hatten durchgesetzt, dass Florian am Förderprogramm teilnehmen durfte. Die Klassenlehrerin hat dies bis zum Schluss boykottiert, nicht mit Aussagen aber mit ihrem Verhalten.
Die Leiterin des Förderprogrammes hatte die richtige Art, mit Florian umzugehen. Sie erkannte seine Sensibilität als erstes Nichtfamilienmitglied, sie erkannte auch seine Stärken und Schwächen. Die kleine Gruppe, zwei Kinder und die Leiterin Kathy, waren ideal. Das Förderprogramm war das Highlight der Woche. Dort kam Florian nach zwei Stunden raus, war fröhlich, mitteilungsbedürftig, eben wie ein knapp 8-jähriges Kind ist. Kathy sprach auch davon, dass man Florian auf einer Spezialschule viel eher gerecht werden könnte. Das war aber aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht möglich.
Der Vorschlag der Lehrerin war, eine Abklärung beim Schulpsychologen zu veranlassen, was wir abgelehnt haben. Wir wollten nicht, dass unser Kind ständig von allen und jedem getestet und begutachtet wird. Einer Standortbestimmung mit dem Schulpsychologen stimmten wir zu. Der hat schnell festgestellt, wie es um unser Kind stand und hat auch sehr schnell ein Überspringen der Klasse vorgeschlagen. Auch Kathy sah dies als Möglichkeit. Die Lehrerin wehrte sich dagegen, und auch unser Sohn wollte dies nicht (er tut sich mit neuen Situationen eher schwer). So blieb er in der 2. Klasse. Allerdings häuften sich die Krisen: Heulanfälle, Selbstmordgedanken (ich springe aus dem Fenster; ich will nicht mehr leben; ich möchte einschlafen und nie mehr aufwachen; am liebsten würde ich weit weglaufen, irgendwohin, wo es schön ist etc.), Aggressionen, schlechtes Essverhalten, mehrere Ausreißversuche von zu Hause. Wir spürten, dass das Ganze mit der Antipathie der Lehrerin zu tun hatte, dazu kam die Unterforderung und natürlich auch das Mobbing der anderen Schüler, das von der Klassenlehrerin mit Florians Verhalten begründet wurde. Das Opfer wurde zum Schuldigen. Gespräche brachten nichts, es kam nur die Empfehlung “Psychiater”. Im Frühling des zweiten Schuljahres beschlossen mein Mann und ich, dass eine weitere Aussprache mit der Lehrerin wohl eher nutzlos sei. “Augen zu und durch” war unsere Devise. Aber die Zeit bis zu den Sommerferien im Juli war lang und zermürbend. In den Ferien dann wieder, Heulanfälle und Ausreißversuche.
Nach den Ferien kam eine neue Lehrerin, die bisher sehr gut auf Florian eingehen kann. Sie hat seine Sensibilität erkannt und ausdrücklich sein soziales Verhalten gelobt. Das war das erste Mal, dass wir eine solche Aussage von einer Erzieherin gehört haben, und sie tut gut. Die Depressionen sind so gut wie verschwunden. Er kommt von der Schule nach Hause und erzählt, singt Lieder vor, macht meist wieder begeistert Hausaufgaben, kurz ist viel ausgeglichener und fröhlich. Ob dies am anspruchsvolleren Lehrstoff liegt oder an der Lehrerin, können wir nicht genau definieren. Unserem Sohn geht es jetzt gut, wir hoffen, dass dies noch lange so bleibt.